Was Thomas Piketty so spannend macht, ist sein Versuch, den systematischen Nachweis zu führen, dass der Kapitalismus systemisch Ungleichheit hervorruft. Es war seit Adam Smith immer der Anspruch der Verfechter einer „freien“ (kapitalistischen) Marktwirtschaft, dass mit der Dynamik der privaten Rendite auch die gesellschaftliche Rendite steigt. Wenn der Reichtum der Wenigen zunimmt, profitieren im Großen und Ganzen auch alle Gesellschaftsmitglieder von diesem Tideneffekt. Die Flut lässt das Boot, in dem alle sitzen, in dieser Vorstellung steigen. Dieses Deutungsmuster hat sich an den kapitalistischen Realitäten gründlich blamiert; die Schere zwischen arm und reich ist in Wirklichkeit immer größer geworden; zumindest in den USA.
Wenn jetzt Journalisten oder Ökonomen auf Widersprüche im Werk von Piketty verweisen, ist daran grundsätzlich nichts einzuwenden. Es wäre ja mehr als erstaunlich, wenn eine These, wie sie Piketty vertritt, nicht alle möglichen Vertreter der ökonomischen Disziplin auf den Plan ruft, alles noch einmal nachzurechnen und Inkonsistenzen aufzuspüren. Das ist völlig legitim und am Ende wird es den Vertretern des gesellschaftskritischen Lagers mehr nützen, wenn die Wahrheit zur Frage der Ungleichheit ans Tageslicht rückt. Die Resonanz von Piketty’s Buch hat schon jetzt bewirkt, dass das Thema der Ungleichheit in aller Munde ist. Sein Widerhall in der amerikanischen Öffentlichkeit beweist, wie sehr er die Achillesferse des amerikanischen Gesellschaftssystems in das Zentrum seiner Kritik hat. Dass Piketty’s Buch auch bei uns bereits weit im Vorfeld seiner Übersetzung für den deutschen Markt eine heftige Debatte ausgelöst hat, zeigt, wie sehr die Frage der Ungleichheit im Unterholz des gesellschaftspolitischen Raums auch in Deutschland Platz greift.
von Dr. Arno Brandt, Ökonom